Mehr Lebensqualität für krebskranke Kinder und Jugendliche
Erfolge neuropsychologischer Rehabilitation bei Störungen von Hirnfunktionen.
Die Brainfit Studie – Train your brain
Mit den heute zur Verfügung stehenden Behandlungen werden 8 von 10 krebskranken Kindern und Jugendlichen von ihrer Krankheit geheilt. Ihre Lebensqualität nach Abschluss der Therapie ist von grosser Bedeutung und in hohem Masse abhängig von ihrer physischen und psychischen Gesundheit sowie von ihrer sozialen, schulischen und beruflichen Entwicklung. Viele Kinder und Jugendliche entwickeln sich nach einer Krebserkrankung ganz normal. Bedingt durch die Krebskrankheit selber oder durch deren Behandlung (Operation, Chemotherapie oder Bestrahlung) haben einige dieser Kinder aber leichte oder seltener auch schwerwiegende Störungen gewisser Hirnfunktionen. Das Gedächtnis, die Verarbeitungsgeschwindigkeit, die Planung von Handlungen und die Organisation, das Lernen, die Intelligenz oder auch das Verhalten können betroffen sein. Für die Zukunft und das Wohlergehen dieser Kinder ist eine erfolgreiche neuropsychologische Rehabilitation von zentraler Bedeutung.
Systematische Untersuchung seit 2010
Unser Forscherteam in Bern hat die Probleme dieser Patienten schon sehr früh erkannt. Seit 2010 wurden alle neuen krebskranken Patienten in der Kinderklink systematisch mit verschiedenen neuropsychologischen Tests untersucht und später bei Auffälligkeiten durch spezielle Trainingsprogramme unterstützt mit dem Ziel, die gestörten Hirnfunktionen zu verbessern.
Gemeinsame Forschungsgruppe
Im Jahr 2016 hat sich nun das Berner Team unter der Leitung von Kurt Leibundgut und Regula Everts mit Kollegen des Universitätskinderspitals in Zürich zu einer grossen Forschungsgruppe zusammengeschlossen, um mit einer aufwändigen Forschungsarbeit, der Brainfit-Studie herauszufinden
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wie sich eine zurückliegende Krebserkrankung langfristig auf wichtige Hirnfunktionen wie die Aufmerksamkeit oder das Gedächtnis auswirkt
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ob sich diese wichtigen Hirnfunktionen nach einem Gedächtnis- oder Sporttraining verbessern
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wie sich im MRI die Struktur und die Funktionsweise des Gehirns nach einem Gedächtnis- oder Sporttraining verändern.
Resultate
Das primäre Ziel der Brainfit-Studie war es, die Wirksamkeit eines Gedächtnis- und eines Sporttrainings bei Kinder und Jugendlichen nach Krebserkrankung zu prüfen (Benzing et al. 2018). Die Analysen dieser primären Forschungsfrage ergaben eher ernüchternde Resultate: das Sporttraining führt zu keinen Veränderungen der kognitiven Leistungsfähigkeit und das Gedächtnistraining verbessert einzig das visuelle Arbeitsgedächtnis, also diejenige Funktion, die während des Trainings intensiv trainiert wurde. Zu einem Transfer auf nicht direkt trainierte Bereiche kam es nach keinem der Trainings (Benzing et al. 2020).
Wir schlussfolgern daraus, dass diese Form und Intensität von Trainingsprogrammen bei Kinder nach Abschluss der Krebsbehandlung kaum Effekte auf die kognitive Entwicklung haben kann. Die gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse spornen uns zu weiteren Forschungsprojekten an, wissen wir doch nun genauer, welch Faktoren zum Erfolg eines Trainingsprogramms beitragen könnten und wie ein Training aufgebaut sein müsste um tatsächlich eine entwicklungsfördernde Auswirkung haben zu können.
Benzing, V. et al. (2018). The Brainfit study: efficacy of cognitive training and exergaming in pediatric cancer survivors–a randomized controlled trial. BMC cancer, 18(1), 1-10.
Benzing, V. et al. (2020). Effects of Cognitive Training and Exergaming in Pediatric Cancer Survivors—A Randomized Clinical Trial. Medicine and science in sports and exercise, 52(11), 2293.
Um die kognitive Leistungsfähigkeit, den psychosozialen Status und die Lebensqualität unsere Patienten besser zu verstehen, haben wir diese Daten zusammengestellt und ziehen das Fazit, dass es den Berner und Zürcher Patienten relativ gut geht und es kaum zu deutlichen Abweichungen im Vergleich zu Gleichaltrigen kam (Siegwart et al. 2020). Einzig das Arbeitsgedächtnis war öfter unterhalb des Normbereiches und es gab einen 2. interessanten Zusammenhang zwischen den Problemen mit Gleichaltrigen und einer reduzierten kognitiven Leistungsfähigkeit sowie tieferer Lebensqualität. Unsere Patienten scheinen sich somit gut von der Krebserkrankung und –therapie zu erholen und zeigen einzig umschriebene Schwierigkeiten im Arbeitsgedächtnis, welche mit sozialen Problemen und der Lebensqualität in Zusammenhang stehen.
Siegwart, et al. (2020). Cognition, psychosocial functioning, and health-related quality of life among childhood cancer survivors. Neuropsychological rehabilitation, 1-24.
Dank der Unterstützung der Berner Stiftung für krebskranke Kinder und Jugendliche konnte die Brainfit-Studie zudem vertieften Einblick in die Neuroplastizität des kindlichen Gehirns nach einer Krebserkrankung und deren Therapie erlangen. In einer ersten Arbeit mit Kindern nach Krebserkrankung ohne ZNS-Beteiligung zeigen wir morphometrische Daten des Gehirns und deren Zusammenhang zur Kognition (Spitzhüttl et al. 2021). Bei Kinder nach Krebserkrankung kam es zu einer signifikanten Reduktion des Volumens der Amygdala und des Striatums, beides Hirnareale welche für die Emotionsverarbeitung eine zentrale Bedeutung haben. Diese Volumenreduktion stand jedoch in keiner Beziehung zur kognitiven
Leistungsfähigkeit.
Spitzhüttl, J. S., et al. (2021). Cortical Morphometry and Its Relationship with Cognitive Functions in Children after non-CNS Cancer. Developmental Neurorehabilitation, 1-10.
In einer zweiten Arbeit mit Kinder nach Krebserkrankung ohne ZNS-Beteiligung stellten wir die funktionellen Netzwerke im Ruhezustand dar und analysierten deren Beziehung zur kognitiven Leistung bei Kinder nach Krebserkrankung und Kontrollprobanden (Spitzhüttl et al. 2020). Es zeigten sich je nach Hirnareal einerseits stärkere aber auch schwächere funktionelle Konnektivitäten bei Kinder nach Krebserkrankung im Vergleich zu Kontrollprobanden. Interessanterweise stand die Hyperkonnektivität gewisser Hirnareale in einem Zusammenhang mit einem schwächeren verbalen Gedächtnis. Diese Resultate zeigen auf, eine Krebserkrankung und –therapie auch ohne ZNS-Beteiligung auch Jahre später Auswirkungen auf funktionelle Merkmale des Gehirns haben kann.
Spitzhüttl, J. S. et al. (2021). Impact of non-CNS childhood cancer on resting-state connectivity and its association with cognition. Brain and behavior, 11(1), e01931.
Beeindruckend sind zudem die jüngsten Erkenntnisse aus der Brainfit-Studie über die Zusammenhänge zwischen Sportmotorik, körperliches Selbstkonzept und Lebensqualität (Benzing et al. 2021). So zeigte sich beispielsweise, dass das körperliche Selbstkonzept und die motorischen Fähigkeiten unserer Patienten reduziert sind und dass das körperliche Selbstkonzept die Beziehung zwischen den motorischen Fähigkeiten und der Lebensqualität zu beeinflussen vermag.
Benzing, V.et al. (2021). Motor ability, physical self-concept and health-related quality of life in pediatric cancer survivors. Cancer medicine, 10, 1860-1871
Siehe auch Gute Nachrichten-Zeitung Nr.17, April 2016